Geschichte - Freunde und Förderer der Ev.-luth. Kirche in Lauenburg/Elbe e.V.

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Geschichte

Turmbau zu Lauenburg

Mal stumpf - mal spitz:
Einen Glockenturm hatte unsere Maria-Magdalenen-Kirche schon in der frühen Neuzeit. Im 16. Jahrhundert ist ein schlanker Turm mit gotischem Spitzhelm abgebildet. Der obere Teil verschwand später, auf dem steinernen Schaft wurde ein ebenso niedriges quadratisches hölzernes Obergeschoss mit einem achteckigen Helm mit Schindeln aufgesetzt.

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert herrschte Aufbruchs-Stimmung. So erhielten mehrere Kirchen in der Umgebung - wie Breitenfelde und Hohenhorn 1867, Seedorf 1872, Schmilau 1881, Behlendorf 1893, Sandesneben 1906 und Büchen 1911 - neue, schlanke Glockentürme aus Backstein im neugotischen Stil - auch die Maria-Magdalenen-Kirche in Lauenburg. Neben irreparablen Schäden an den Hölzern gab die enge Verbindung des Turms mit der auch zu erneuernden Orgel den Ausschlag. 1902 wurde der jetzige Turm aufgerichtet, wie der Grundstein an der Nordseite bezeugt. Der wieder achteckige spitze Helm bekam eine Eindeckung mit flachen, glasierten Biberschwanz-Ziegeln im Stil der Zeit.

In der Nacht vom 28. auf den 29. April 1945, wenige Tage vor der Kapitulation, begannen die Briten mit einem stundenlangen Trommelfeuer auf Lauenburg den Übergang über die Elbe nach Norden einzuleiten. Der Vater von Hans-Jürgen Boisen, dem langjährigen Vorsitzenden unseres Vereins, Herr Christian Boisen, der wenige Tage später verstarb, schildert diese Nacht und den Morgen danach in seinem Tagebuch eindringlich.

Etliche Häuser, der Zeitzeuge Dipl.-Ing. Ulrich Flörke schätzt sie auf 800, in Unter- und Oberstadt erlitten Schäden durch zahllose zersplitterte Fensterscheiben und durchlöcherte Dächer, einige brannten ab. Der ohnehin durch Tausende von Flüchtlingen aus dem Osten überbelegte Wohnraum verknappte sich noch mehr - die beschädigten Wohnungen mussten so schnell wie möglich wieder hergerichtet werden. Anders als der Turmhelm wies auch das Pfannendach über dem Kirchenschiff etliche Granat-Einschusslöcher auf.

Die britische Besatzungsmacht hatte jedoch sämtliche Baustoffe, sofern sie überhaupt vorhanden waren, mit Handels- und Verarbeitungs-Verboten belegt. Für den Stadtrat galt es, Prioritäten zu setzen. Verantwortliche Personen im Kirchenvorstand, wie Pastor Zarnack, und in der Stadtverwaltung, wie (der von der britischen Besatzungsmacht eingesetzte) Bürgermeister Burmeister, machten sich Gedanken, wie man das Kirchenschiff vor Regen und Unwetter schützen könnte. Das Dach musste trotz fehlender Dachpfannen, Holzschindeln oder Dachpappe, abgedichtet werden.

Herr Dipl.-Ing. Rudolf Sack, ein Flüchtling aus Stettin, wo er als Architekt selbständig war, trug jetzt den Titel „Stadtbaurat“. „Den Lauenburgern wollen wir´s mal zeigen!“ war das häufigste Zitat des Herrn Sack, und seine große Zeit schien gekommen. Er ließ die Häuser rund um den Kirchplatz vom jungen Herrn Flörke maßstabsgetreu zeichnen und deutete auf den Kirchturm und sagte: „Sehen Sie, viel zu hoch!“ Die Kirche wurde noch etwas genauer vermessen, und der Stadtbaurat zeichnete einen neuen Kirchturm - ähnlich so, wie er später für Jahrzehnte dastand, aber mit einem schmäleren Dachreiter, unter Verwendung der alten Wetterfahne. „Das sah ganz gut aus“, meinte Flörke. 1)

Am 21. September 1945, die nasse Jahreszeit drängte zum Handeln, tagte der Stadtrat. Die Idee war, die Dachhaut des Turmhelmes für das Flicken der Löcher im Langhaus umzudecken und statt des Spitzhelmes ein niedriges Notdach aufzusetzen. Zur Sitzung wurde der Stadtbaurat Dipl.-Ing. Sack hinzu gezogen.

Ing. Sack berichtete mit dem Bürgermeister über die Kirchturm-Angelegenheit. Sein vorgelegter Entwurf, der im Protokoll nicht beschrieben wurde, fand den Beifall der Stadträte. Die Kosten sollten sich auf 20.000 Reichsmark belaufen. Allerdings sei die Änderung des Kirchturms Sache der Kirchengemeinde. Auch von dieser Seite sei noch ein Architekt beauftragt, einen Entwurf vorzulegen. 2) Mit dem Beschluss zum Abbau der Turmspitze setzte sich der Stadtrat über die Köpfe des Kirchenvorstandes hinweg.

Also wurde der Turmhelm abgebaut. Von den schmalen Turmhelmflächen wurde aber nicht viel Material gewonnen, weil zu viele Ziegel gespitzt und nicht zur Wiederverwendung geeignet waren, oder sie geklammert waren und beim Abbau zerbrachen - oder sie wurden gestohlen und landeten auf anderen Dächern. So brauchte man dennoch Holzschindeln und anderweitig requiriertes Pfannenmaterial. Die Kritik von Fachleuten und das Murren von Altbürgern wurden laut, und dann „erzählen wie den Leuten einfach, da war sowieso der Wurm drin“, berichtet Ing. Flörke über seinen Chef, Ing. Sack.

Einen Baurat brauchte man nicht mehr, Sack wurde entlassen. So wurden die vier Uhrengiebel provisorisch überdacht, für einen Dachreiter langte es nicht mehr. Es reichte nicht einmal, die 15 Meter langen Dachsparren aus dem Glockenturm, in den sie zunächst abgeseilt waren, zur Erde zu schaffen und abzutransportieren. Sie blieben für einen späteren Wiederaufbau einfach im gemauerten Turmschaft stehen.

Der Kirchenvorstand teilte am 10. Oktober 1945 durch Herrn Pastor Zarnack dem Ev.-Luth. Landeskirchenamt Kiel mit Sitz in Timmendorfer Strand per Brief folgendes mit: „Instandsetzung der Kirche in Lauenburg (Elbe). Die Bauarbeiten am Kirchturm sind inzwischen soweit vorgeschritten, dass eine Sistierung (Unterbrechung) derselben nicht mehr möglich ist, zumal es so gut wie ausgeschlossen ist, zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal die Fachkräfte zu bekommen, die den jetzt allen Witterungseinflüssen offenstehenden Turm sichern. Der Lauenburger Synodalausschuss hat Abschrift dieses Schreibens erhalten.“ 3)

Am 26. November 1945 schrieb das Preußische Staatshochbauamt, Abt. Baupolizei, Lübeck, an den Herrn Kirchenvorstand in Lauenburg: „Betrifft den Turmhelm der Kirche. Gelegentlich der am 23. dieses Monats in Lauenburg stattgefundenen Dienstbesprechung in Baupolizei-Angelegenheiten mit Herrn Bürgermeister Burmeister wurde anlässlich einer anschließenden Ortsbesichtigung festgestellt, dass Veränderungen am Turmdach vorgenommen worden sind. Aus Gründen der baupolizeilichen Prüfung und denkmals-pflegerischen Betreuung, die das Staatshochbauamt ausübt, ersuche ich um nachträgliche Vorlage einer Zeichnung, die den früheren Zustand der Turmbedachung und den jetzt bereinigten zeigt. Vor allem aber ist zu fordern, dass die am Kreuzungspunkt der neuen Satteldächer aufgesetzte Blechspitze mit Kugel vom Turmdach wieder abgenommen wird. Das ist ohne konstruktive Änderung möglich und geschieht vorteilhafterweise sofort, solange die Rüstung noch steht. Das bekrönende Kreuz könnte auf der Spitze des westlichen Giebelfeldes angebracht werden.“ 4)

Das Kreuz mit der Kugel und die Wetterfahne von 1902 lagen nach der Demontage vor der Kirche und wurden von dem gegenüber der Kirche wohnenden Arzt Dr. med. Burghard Hoffmann, Graben 3, in seiner Garage in Verwahrung genommen. Die Wetterfahne verblieb beim Sohn Dr. Hoffmann und wurde später im Garten der Arztpraxis im Weingarten aufgestellt. Eine vom Förderverein gewünschte Rückgabe an die Kirchengemeinde lehnte er ab.

Und die alten Hölzer? Der Blick durch die Schall-Löcher am Glockenturm lässt es schon erahnen: Die Sparren stehen noch im Turmschaft! Bei einer Besteigung konnte sich der Autor davon selbst überzeugen. Über einen fast geheimen Weg durch einen Raum hinter der Orgel gelangt man zum kleinen Turm und erreicht dann über viele Betonstufen einer Wendeltreppe und eine steile Holzleiter die Etage der Kirchenglocken. Die rund 15 Meter langen Sparren stehen dort an die Mauer gelehnt (Foto rechts). Auch Unmengen kürzerer Balken, die der Stabilisierung des gesamten Spitzturmes von 1902 bis 1945 gedient haben, liegen am Boden verstreut.

Diese wuchtige Konstruktion hat 43 Jahre die schweren, aus Ton gebrannten Biberschwänze getragen. All’ diese Balken wollte man 1945 retten, um sie später zum Wiederaufbau der Turmspitze nutzen zu können. Hierzu ist es bekanntlich nicht gekommen. Der Kirchenbau-Architekt G. Johannsen und der Lieferant der Bauteile der 1992 errichteten neuen Turmspitze, die Firma Gebr. Schütt, Flethsee, bevorzugten eine komplett neue Konstruktion aus sicherem Holz für die Eindeckung mit Kupfer.

Auf einem Foto erkennen wir nicht nur eine Glocke, sondern auch den Glockenstuhl aus Stahl (rechts). Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden und werden solche Glockenträger erbaut, aber Holz hat einige Vorteile:

  • Die Klangentfaltung der Glocken in einem Holzstuhl ist voller und weicher. Hölzerne Glockenstühle und -joche sorgen für ein schönes und angenehmes Läuten.
  • Außerdem dämpfen und reduzieren sie die dynamischen Belastungen auf das Turm-Mauerwerk und schonen somit nachhaltig die Bausubstanz. Beim Schwingen der Glocken entstehen erhebliche Kräfte, die bis zum 3- bis 4-fachen des Glockengewichtes betragen können. Der Glockenstuhl hat die Aufgabe, diese dynamischen Belastungen bestmöglich zu dämpfen und an richtiger Stelle in das Turm-Mauerwerk zu übertragen.
  • Die Lebensdauer ist bei guter Pflege um ein Vielfaches höher. Schweißnähte, Nieten und Bolzen von Stahlträgern können reißen, das Material korrodieren - Holz bleibt elastisch.

So wurden z. B. in der St.-Johannis-Kirche in Lüneburg die alten und neuen Glocken vor wenigen Jahren wieder in einen hölzernen Stuhl gehängt (Foto rechts unten). Sollten wir also darüber nachdenken, die erhaltenen Balken des alten Turmhelms für den Ersatz des stählernen durch einen hölzernen Glockenstuhl nachzunutzen?

(Nach einer Darstellung von Hans-Jürgen Boisen im März 2018)
oben: Turmbau 1902
(Foto: Gustav Knackendöffel, Sammlung Hans-Jürgen Boisen im Stadtarchiv)

unten: Spitzturm mit glasierten Ziegeln vor Kriegsschäden, im Hintergrund Elbe mit vielen Frachtkähnen
(Foto: Stadtarchiv Lauenburg, Bestand Schönau)
Über Jahrzehnte ein vertrauter Anblick: der Turm mit dem stumpfen Notdach (Foto: Stadtarchiv Lauenburg, Bestand Schönau)
Oben: Turmschaft mit abgestellten Sparren
Unten: Glocke im stählernen Glockenstuhl
(2 Fotos: Hans-Jürgen Boisen)
Unten: Glocke in St.-Johannis-Kirche Lüneburg im hölzernen Stuhl
(Foto: Manfred Maronde, 2016)
Quellen:
1) Zeitzeugenbericht Dipl.-Ing. Ulrich Flörke
2) Protokoll der Stadtratssitzung
3) Brief des Kirchenvorstandes
4) Brief des Staatshochbauamtes
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