Festrede
Festrede: Maria im Leuchter
Legende, Bruderschaften, Apokalypse
Gottesdienst am 18. März 2018
Gottesdienst am 18. März 2018
Heute begehen wir hier in der Maria-Magdalenen-Kirche feierlich die Wiederaufhängung des großen Marienleuchters. Wer aus Lauenburg kommt und hier zur Schule gegangen ist, kennt die Legende, die zu diesem Leuchter erzählt wird: Der wertvolle Leuchter wurde vor langer Zeit von Dieben gestohlen. Es war Winter, und sie wollten mit ihrer kostbaren Beute über die zugefrorene Elbe fliehen. Doch sie brachen im Eis ein und konnten nur noch ihr nacktes Leben retten. Der Leuchter aber versank in den Fluten, und die Lauenburger glaubten ihn verloren. Im folgenden Winter fand unweit der Stadt eine Jagd statt. Ein Hirsch versuchte, den Jägern über die wiederum zugefrorene Elbe zu entkommen, aber er brach ein. Als die Jäger das Tier aus dem Fluss zogen, fanden sie den Leuchter, der sich im Geweih verfangen hatte. Als Dank für die wundersame Wiederauffindung ließen sie das Geweih in den Leuchter einarbeiten.
Das ist eine hübsche Geschichte, die wohl von der Auffindung des siebenarmigen Leuchters in der Möllner St.-Nicolai-Kirche inspiriert ist. Aber auch ohne diese Legende kann uns der Leuchter viel erzählen. Dazu wollen wir uns den Leuchter näher betrachten.
Der Lauenburger Marienleuchter ist einer von gut hundert erhaltenen Leuchtern dieser Art. Ihre Zahl dürfte viel höher gewesen sein, aber viele werden den wechselhaften Zeitläufen zum Opfer gefallen sein. Marienleuchter sind vor allem aus dem deutschen Sprachraum überliefert, aber auch in geringerer Zahl in Osteuropa und in Skandinavien. Ein Schwerpunkt der Verbreitung ist das Niederrheingebiet, aber auch in unserer Region gibt es einen Schwerpunkt: Allein hier in dieser Kirche gibt es noch einen zweiten Marienleuchter, nämlich den Schusteramtsleuchter neben der Orgel.
Weitere Leuchter gibt es in der St.-Nicolai-Kirche in Mölln (Foto rechts), in der St.-Michaelis-Kirche in Eutin (eher klein, Bild unten) und gleich mehrmals in Lüneburg, nämlich im Kloster Lüne, im Rathaus und in St. Johannis. Etwas weiter entfernt gibt es auch jeweils einen Leuchter: in Bad Doberan und im Kloster Wienhausen. Der Bildtypus des Marienleuchters ist weitgehend auf die Spätgotik beschränkt, und hier vor allem auf das 15. Jahrhundert. Die meisten Marienleuchter stammen aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts und dem frühen 15. Jahrhundert. Auch der Lauenburger Leuchter wird in das letzte Viertel des 15. Jahrhunderts datiert.
Unter den Marienleuchtern lassen sich mehrere Typen unterscheiden. In Mölln z. B. ist eine Marien-Verkündigung dargestellt. Am häufigsten hingegen sind Mondsichel-Strahlenkranz-Madonnen, entweder einfigurig oder - häufiger- doppelfigurig, hier entweder mit einem Heiligen wie z.B. in Lüneburg (Foto rechts), St. Nicolai oder in unserem Fall mit einer Anna Selbdritt oder mit einer anderen Mariendarstellung.
Wesentliches Merkmal der Strahlenkranz-Madonnen ist, wie ihr Name sagt, das Sonnen- und Mondattribut, letzteres mit zwei Ausnahmen in der Regel als Mondsichel. Der Strahlenkranz ist in den meisten Fällen wie bei unserem Leuchter aus abwechselnd geraden und gewellten Strahlen gestaltet.
Die Sternensymbolik - zwölf Sterne nach biblischen Vorbild - finden sich nicht bei allen Leuchtern. Ihre Darstellung bzw. Anzahl war nicht zwingend, und die Sterne wurden vermutlich durch andere Mittel, vor allem wohl durch die brennenden Kerzen, symbolisiert. Beim Lauenburger Leuchter mag der Sterneneffekt durch die Reflexion des Lichterscheins an den Applikationen am Bügel erzielt worden sein. Unabdingbar bei der Strahlenkranzmadonna aber ist die Krone, die Maria als Himmelskönigin ausweist.
Die Kombination der Leuchtmittel-Vorrichtung mit einem Hirschgeweih, das in unserem Fall Anlass zur Legendenbildung gab, ist durchaus häufiger anzutreffen, wie z. B. bei den Leuchtern im Lüneburger Rathaus. Auch im profanen Bereich wurden Leuchter im 15. Jh. mit Hirschgeweihen verziert, u. a. als Flügel für „Leuchterweibchen“. Bei den Aufhängungen der Leuchter handelt es sich meist um mehrteilige Hängegestelle, die aufwändig gearbeitet sein können, so auch bei unserem Leuchter. Der schmiedeeiserne Bügel, der mit Applikationen verziert ist, umgibt das Marienbild wie eine Mandorla.
Marienleuchter sind vornehmlich Ausstattungsstücke des Sakralraumes, können aber auch in profanen Repräsentations-Räumen hängen, wie in Ratssälen oder auch in privaten Profanräumen. Dieses wird für den Lauenburger Marienleuchter angenommen, der ursprünglich im Versammlungs-Raum der Kaland-Bruderschaft gehangen haben soll, obwohl die Quellenlage hier nicht sicher ist. Er soll erst nach der Auflösung des Kalandes in die Kirche gekommen sein. Möglicherweise wurde der Leuchter aber auch von der Kaland-Bruderschaft von vornherein für die Kirche gestiftet. Denn der Leuchter ist aufgrund seiner formalen Geschlossenheit auf Fernsicht konstruiert, und einen entsprechend großen Profanraum wird es in Lauenburg außerhalb von Kirche und dem gotischen Vorgängerbaus des Rathauses kaum gegeben haben. Eventuell hat er also immer schon in der Kirche gehangen.
Die Doppelfigurigkeit von Maria als Himmelskönigin und Anna Selbdritt spricht aber durchaus für eine Stiftung durch den Kaland, der zum einen die Marienverehrung pflegte und zum anderen diakonische Aufgaben wahrnahm, wozu vor allem die Unterstützung von Witwen und Waisen gehörte. Die heilige Anna nämlich ist die Patronin der Frauen im allgemeinen und der Witwen im besonderen.
Die Wirkung eines solchen Leuchters im Kirchenraum können wir uns in unserer heutigen an von Kunstlicht erhellten Räume kam noch vorstellen. Der Gläubige, der den dunklen Kirchenraum betrat, nahm zunächst eine im Lichtkranz schwebende Figur wahr. Erst wenn er sich dem Leuchter näherte, nahm er Details wahr. Der Kirchenraum wurde somit als Umraum in das Leuchterensemble einbezogen. Dieser Effekt wurde durch die Größe des Leuchters, der raumgreifend wirkte, verstärkt. In eindrucksvoller Weise konnte der zumeist des Lesens und Schreibens unkundige Gläubige des späten Mittelalters die Marienerscheinung wahrnehmen. Die im Lichterglanz schwebende Marienfigur muss ihm wie eine göttliche Offenbarung erschienen sein.
Kerzen aber waren im Mittelalter teuer. In Kirchen wurden statt der billigen Unschlitt-Kerzen aus Talg Bienenwachs-Kerzen verwendet, die nicht nur weniger tropften, sondern auch viel angenehmer rochen. Diese waren aber teuer, weshalb viele Leuchter-Stiftungen auch mit Wachs-Stiftungen verbunden waren. Für Lauenburg gibt es hierzu keine Hinweise in Quellen, aber von Marienleuchtern an anderen Orten sind diese bekannt. Die Schenkung eines Marienleuchters war eng mit einer Wachs-Stiftung verbunden. Ohne Kerzen macht ein Leuchter keinen Sinn, zumal die Illuminierung ein Bestandteil der Gesamtwirkung war. Wachs aber war teuer.
Der Marienleuchter ist im Kontext der spätmittelalterlichen Marien-Frömmigkeit zu sehen. Nach einer ersten Blütezeit der Marien-Verehrung im 11. und 12. Jahrhundert erlebte diese im 15. Jahrhundert einen neuen Höhepunkt. Maria wurde als weibliches Gegenbild zur damals weit verbreiteten Vorstellung eines strafenden Gottes gesehen. An Maria wandten sich die Gläubigen sowohl als Fürsprecherin beim Jüngsten Gericht wie auch als Fürsprecherin gegen die allgegenwärtigen Bedrohungen des Lebens durch Krankheiten, Hunger, Katastrophen und Ängste.
Die damals übliche Bezeichnung „Unserer Lieben Frauen“ zeugt von dieser Hingabe an die Muttergottes, und in den Marien-Leuchtern fand diese Vorstellung ihren bildlichen Ausdruck. Dank der Restaurierung ist das freundliche, gütige Gesicht der Maria wieder zum Vorschein gekommen.
Die Darstellung der Himmelskönigin, des sogenannten apokalyptischen Weibes, deutet genau auf diesen transzendenten Gesichtspunkt hin. Maria schwebt einerseits in der himmlischen, also göttlichen Sphäre, aber sie wendet sich zugleich auch dem Menschen zu. Die Marien-Leuchter sind daher auch im Kontext der Bedeutung des Lichtes in der spätmittelalterlichen Jenseits-Vorstellung zu sehen. Der Brauch, zum Gedenken an eine Person oder als Zeichen einer persönlichen Fürbitte eine Kerze zu entzünden, hat ihren Weg wieder zurück in die protestantischen Kirchen gefunden und ist ein Reflex uralter Lichtsymbolik: Licht erhellt die Dunkelheit und weist auf Gott hin. Auch das ist die Botschaft des Marienleuchters.
Nicht nur Privatpersonen, sondern auch soziale Gruppierungen pflegten die Marien-Verehrung. So sind die Lauenburger Leuchter von Bruderschaften bzw. berufsständischen Gruppen (Schusteramts-Leuchter, Foto rechts) gestiftet worden.
Die Bruderschaften und berufsständischen Korporationen hatten eine wichtige soziale Funktion in der mittelalterlichen Gesellschaft inne. Zum einen festigten sie mit der religiösen Verehrung der Heiligen das auf der Religion basierende gesellschaftliche Fundamt, zum anderen sorgten sie durch karitative Aufgaben für den ganz konkreten gesellschaftlichen Zusammenhang.
Sowohl die Heiligen-, in unserem Fall konkret die Marien-Verehrung, als auch das diakonische Handeln - erfolgten aber nicht nur aus rein altruistischen Motiven, sondern waren auch durch die Sicherung des eigenen Seelenheils wie das der Angehörigen bzw. Mitgliedern der sozialen Gruppen bestimmt. Wie bei der zeitgleichen Stiftung von Altären sollten die Marienleuchter den Betrachter zum Gebet für das Seelenheil animieren. Die Schenkung eines Marienleuchters war eng mit einer Wachs-Stiftung verbunden.
Auch nach der Reformation behielt der Marienleuchter seinen Platz in der Kirche. Nach der Auflösung der Kaland-Bruderschaft durch Herzog Franz II. soll der Leuchter in die Kirche gekommen sein. Wahrscheinlich hing er aber auch schon vorher hier, so dass das Schiffamt sich für diesen Leuchter verantwortlich zeigte. Im Herzogtum Lauenburg gab es keine Bilderstürmerei, sondern der Prozess der Reformation zog sich über 50 Jahre hin, wobei alte Traditionen gewahrt werden konnten. Auch die Marien-Verehrung lebte in unserer Region noch lange fort. Trotz Verbotes fanden beispielsweise bis zum 30jährigen Krieg Wallfahrten zum Marienbild in Büchen (Foto rechts: sog. Gotteskasten, Bild links Vollmond-Madonna in Gudow) statt, und in Lübeck wurden bis in das 18. Jahrhundert noch alle Marien-Feiertage begangen.
Erst mit der Aufklärung verschwand im protestantischen Norden die Marien-Frömmigkeit. Aber viele Marien-Altäre und Marien-Leuchter blieben erhalten, so auch unser Lauenburger Leuchter. Er hat über Jahrhunderte seinen Platz im Mittelschiff über alle Renovierungen und Veränderungen des Kirchenschiffes hinweg behalten. Selbst bei der wohl umfassendsten Veränderung 1827 blieb der Leuchter unangetastet. Dafür mögen nicht zuletzt auch die Angehörigen des Schiffamtes gesorgt haben, die 1821 ihren Protest gegen die Auflösung des Elbschifffahrts-Privilegs damit kundtaten, dass sie die Resolution in einem Schiffsmodell unter den Leuchter hängten.
Im Laufe der Jahrhunderte hat der Leuchter mehrere farbliche Neufassungen erlebt. Auch das zeugt von der Bedeutung, die der Leuchter für die Gläubigen in Lauenburg hatte. Man ließ ihn nicht einfach verkommen, sondern brachte ihm stets Wertschätzung entgegen.
Text: Dr. Claudia Tanck, Fotos: Manfred Maronde, Lauenburg
Eine gute Quelle ist das Buch: „Spätgotische Marienleuchter: Formen - Funktionen - Bedeutungen“, von Vera Henkelmann, Verlag Schnell & Steiner, 2014, ISBN 9783795426941 (320 Seiten, 228 Bilder, 69 Euro).